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Holger Fritsch, Geschäftsführer der  Bachmann Monitoring GmbH, ist als einer der bekanntesten Fachleute ein begehrter Redner bei Veranstaltungen. Auf der Konferenz Service - Instandhaltung - Betrieb des BWE in Hamburg hielt er einen Vortrag zum Thema Lifetime Extension (LTE). Im Vorfeld verriet er den Lesern von "Erneuerbare Energien", was die Betreiber tun können, wenn ihre Anlagen ein Alter von 20 Jahren erreichen.

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Die Antworten lieferte:

Holger Fritsch
Geschäftsführer der Bachmann Monitoring GmbH

Veröffentlich in:

Erneuerbare Energien 04/2024.

Wie wird festgestellt, ob eine Anlage für den Weiterbetrieb nach 20 Jahren Laufzeit geeignet ist?

Holger Fritsch: Wenn eine Anlage das nominelle Ende ihrer Lebenszeit erreicht hat und der Betreiber die Anlage weiterbetreiben möchte, weil ein Repowering am Standort nicht möglich oder es schwierig ist, neue Anlagen geliefert zu bekommen und die Strompreise zudem lukrativ sind, dann braucht er m.E. drei Parteien. Erstens einen Gutachter, der für Weiterbetriebsgutachten akkreditiert ist. Der Gutachter prüft bestimmte Unterlagen: Wurden Großkomponenten ausgetauscht, stand die Anlage lange still. Welche SCADA-Daten sind verfügbar?  Gibt es bekannte Schwachstellen? Außerdem übernimmt der Gutachter den praktischen Teil der Anlagenbegutachtung vor Ort. Und dann kommt es auf den sogenannten analytischen oder theoretischen Part an. Der theoretische Teil beschäftigt sich jetzt damit, dass man beispielsweise SCADA-Daten aus den vergangenen Jahren auswertet. Die Frage dabei: Welchen Arbeits- und Umgebungsbedingungen ist die Anlage ausgesetzt gewesen? Für welche Lasten und Turbulenzen wurde die Anlage designt.

Anschließend kommt der dritte Part ins Spiel: Das sind wir als Bachmann Monitoring. Wir sorgen dafür, dass die tatsächlichen Lasten an der Anlage gemessen werden, beispielsweise im Turmfuß. Wir bringen dort Sensoren an, die Auskunft darüber geben, welche Lasten die Anlage jetzt tatsächlich sieht. Diese realen Lasten und Lastkollektive kann man mit den hoffentlich auch aus der Vergangenheit vorhandenen SCADA-Daten vergleichen und entsprechende Schlussfolgerungen für die Modellannahmen ableiten. Wir arbeiten auf diesem Gebiet mit der Deutschen Windtechnik und mit PE Concepts zusammen, da wir mit diesen Partnern die ersten Pilotprojekte erfolgreich realisieren konnten.

Einer der größten Unsicherheitsfaktoren bei solchen Betrachtungen ist im Übrigen der Turbulenzgrad, der mit einem sehr hohen Sicherheitsaufschlag versehen wird. Diesen kann man später meist deutlich heruntersetzen und im Ergebnis die Anlage beispielsweise nochmal vier Jahre oder mehr weiter betreiben.

Das ist doch eine gute Perspektive für Leute, die ihre Bestandsanlagen länger laufen lassen wollen. Früher sind die Anlagen ja noch viel überdimensionierter designt worden…

Holger Fritsch: Vollkommen richtig. Diese Anlagen werden im Volksmund liebevoll 'Eisenschweine‘ genannt, weil sie so kräftig ausgelegt wurden. Nur hat sich die Leistung in der Windenergie rasant entwickelt. Plötzlich waren wir bei der Zwei-Megawatt-Klasse. Und da wurde und musste schon sehr deutlich am Design optimiert werden. – weniger Material, weniger Kosten, aber auch kleinere Sicherheitsfaktoren.

Also ihr habt durch das Einbringen von Sensoren in die Anlagen einen blinden Fleck beleuchtet?

Holger Fritsch: Ja. Hohe Strompreise führen dazu, dass man mehr Anlagen wirtschaftlich weiteretreiben kann, wenn man keine Alternative hat, oder Zwischenzeiten überbrückt werden müssen. Unsere Geschäftsmodelle haben aber schon immer ab ca. 0,05 Euro Vergütung pro Kilowattstunde funktioniert. Bei geringeren Einnahmen wird es einfach schwierig, sinnvoll zu investieren

Wie teuer ist denn das Monitoring ungefähr? Sitzt es immer im Turmfuß?

Holger Fritsch: Unser Ziel ist es, den finanziellen Aufwand so gering, wie möglich zu halten, aber dennoch technisch und fachlich korrekt zu bleiben. Wir hoffen hier auf einen möglichen Skaleneffekt, da wir die gleichen neuen, von uns entwickelten Cantilever Sensoren (CLS) einsetzen wollen, die wir jetzt auch in Serie ins Rotorblatt bringen. Das System sollte sich auch von Dritten einfach einzubauen lassen – nur im Turmfuß und um es medizinisch auszudrücken einfach „minimalinvasiv“. Der CLS macht es möglich, weil es anders als beim Dehnungsmessstreifen nicht erforderlich ist, die Farbschicht partiell zu entfernen.

Für das ‚LTE-Gutachten‘ wäre es nicht zwingend das System in der Anlage zu lassen, aber hier kommt aus unserer Sicht  noch ein ganz wichtiger Aspekt hinzu: Bei den Anlagen der Zwei-Megawatt-Klasse, die bereits deutlich  optimiert wurden, kann natürlich eine Materialschwäche nicht gesehen oder  Risse  übersehen worden sein, obwohl ein Gutachter die Anlage akribisch untersucht hat. Wenn eine Anlage allerdings unerwartet in der Zeit  kollabiert, für die  eine verlängerte Betriebszeit errechnet wurde, dann ist das ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko und verursacht  zudem  einen großen Imageschaden. Deswegen empfehle ich, dass man die CMS auch nach dem Gutachten in der Anlage belässt, damit die Anlage weiter überwacht werden kann. Für den Kunden hat es voraussichtlich den Vorteil, dass eine zweite mögliche Verlängerung wesentlich kostengünstiger ist und mit größerer Sicherheit realisiert werden könnte.

Die Sensoren stellen also nicht nur fest, wie viele Lasten in einem bestimmten Bereich sind, sondern detektieren auch Schwachstellen?

Holger Fritsch: Ja, aber natürlich nicht lokal, sondern wenn sich zum Beispiel die Eigenfrequenzen verändern, weiß man, dass sich an der strukturellen Gesundheit (Standsicherheit) etwas verändert hat.

Das Modell basiert auch darauf, dass der Strompreis hoch bleibt. Was das Messen anbelangt: Das findet also nur im Turmfuß statt?

Holger Fritsch: BeiAnlagen mit über 100 Metern Turmhöhe müssen wir auch über eine zweite Messebene nachdenken. Wir müssen evaluieren, ob das notwendig ist. Wir versuchen im Turmfuß zu bleiben, weil dort kein Klettern erforderlich ist und das System einfach bleibt. Wichtig ist aber, dass eine Anlage nicht unbemerkt schwächelt. Deshalb muss rechtzeitig festgestellt werden, wenn etwas nicht stimmt.

Wie sieht es bei neueren Anlagen mit der Überwachung aus?

Holger Fritsch: Wir haben uns bis jetzt erst einmal das Thema Lifetime Extension angeschaut. Aber über allem steht die Überschrift ‚Structure Health Monitoring‘. Das ist bei neuen Anlagen ein ganz wichtiges Thema geworden. Es gibt kaum eine neue Anlage, die nicht schon mit problematischen Rotorblättern ausgeliefert wird - entweder aus der Produktion oder durch den Transport. Einfach weil die Rotorblätter immer länger werden:  Beispielsweise haben aktuelle Anlagen der 15-MW-Klasse eine Rotorblattlänge von fast 116 Metern.

Was die neuen Türme anbelangt, so werden diese mehr und mehr als Hybride aus Beton und Stahl gebaut, verbunden über ein spezielles Verbindungsstück, das wiederum ein Ansatzpunkt für Auffälligkeiten sein könnte.

Hinzu kommt, dass das Monitoring früher eine Kostenfrage war. Bei den jetzigen Anlagengrößen und -kosten ist das aber kein Thema mehr, denn das Monitoring beispielsweise für den Triebstrang ist nicht teurer geworden. Anlagenschäden und die Gefahr eines Ertragsausfalls bedeuten heute bei einer 15-MW-Anlage ganz andere Verluste als bei einer 600-kW-Anlage. Hinzu kommt, dass man jetzt bei einem Schaden gar nicht so schnell einen Kran bekommen, wenn dieser gebraucht wird. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig zu wissen, wann eine Komponente ausgetauscht werden muss. Aus meiner Sicht wird die Kombination aus CMS und SHM notwendig werden, um die Risiken für die Anlageinvestition zu minimieren und es wäre eine Forderung, die der umsichtige Investor und Betreiber an die Anlagenhersteller für sein konkretes Projekt zu stellen hätte, da aus der bisherigen Sicht des OEM die Monitoring-Technik seine Anlage im Kostenvergleich teurer macht und der Nutzen im Wesentlichen beim Betreiber liegt.